Suizidstatistiken in Deutschland

Jedes Jahr veröffentlicht das Statistische Bundesamt die Todesursachenstatistik für Deutschland. Das NaSPro publiziert regelmäßig eine graphische Darstellung der Entwicklungen der Suizidstatistik. 

Den aktuellen Foliensatz für das Jahr 2022 können Sie hier downloaden.

 

Suizide in Deutschland 2022

Die folgenden Angaben zu den vollendeten Suiziden 2022 beziehen sich auf die Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes, welche jährlich aktualisiert wird. Die Angaben beruhen auf der Auswertung der Todesbescheinigungen. Die Todesursachen werden in den Bundesländern für die dort gemeldeten Einwohner dokumentiert und an das Statistische Bundesamt gemeldet. Da Daten zu den Suizidversuchen nicht systematisch erhoben werden, sind die hier gemachten Angaben Schätzungen auf Basis der Ergebnisse in kleineren Erhebungsgebieten wie beispielsweise im Rahmen der Studie „Monitoring Suicidal Behaviour in Europe“  (publiziert in Schmidtke et al. 2001, 2004).

Das Statistische Bundesamt ist gemäß §16 Bundestatistikgesetz dazu verpflichtet, Daten, die Rückschlüsse aus Einzelpersonen zulassen, unkenntlich zu machen. Dies ist immer dann der Fall, wenn drei oder weniger Fälle in einer Zelle verzeichnet sind. Die Autorinnen haben sich entschieden, diese sogenannten Geheimhaltungsfälle in der Statistik mit dem Wert „null“ zu führen, sodass es zu minimalen Abweichungen in den Darstellungen kommen kann.

Die Auswertungen des statistischen Bundesamtes sehen nur die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ vor, sodass keine Angaben zu Menschen gemacht werden können, die sich nicht dem binären System zuordnen.

Die Anzahl der Suizide und die jeweilige Suizidziffer sind immer das Ergebnis sehr unterschiedlicher und gegenläufiger oder sich aufhebender Gegebenheiten.

Einfluss auf die Suizidhäufigkeit haben u.a.:
•Der Zustand und die Entwicklung der medizinischen Versorgung.
•Die demographische Entwicklung.
•Sozioökonomische Entwicklungen.
•Regionale Besonderheiten.
•Die Berichterstattung in den Medien.
•Die Verfügbarkeit und die Bekanntheit von Suizidmethoden.
•Die Form und Zuverlässigkeit der Ausstellung der Todesbescheinigungen.
•Suizidpräventive Initiativen.
•...
Vor diesem Hintergrund verbieten sich eine vorschnelle Interpretationen der vorliegenden Daten. Diese ist erst nach einer genaueren wissenschaftlichen Analyse möglich.

Die Verwendung der Folien sind mit Quellenangabe erlaubt.

10.119 Menschen starben in Deutschland im Jahr 2022 durch Suizid. * Weit über 100.000 Menschen unternahmen im Jahr 2020 einen Suizidversuch. * Etwa 60.000 Menschen verloren im Jahr 2022 einen ihnen nahestehenden Menschen durch Suizid. Nicht selten benötigen auch sie Unterstützung (nach Angabe der WHO sind von einem Suizid im Durchschnitt mindestens sechs nahe stehende Menschen betroffen). **

Das bedeutet ***:

- Alle 52 Minuten nimmt sich ein Mensch selbst das Leben.
- Alle 5 Minuten findet ein Suizidversuch statt.
- In den letzten 10 Jahren starben über 96.000 Menschen durch Suizid.
- In den letzten 10 Jahren gab es in Deutschland weit über 1 Million Suizidversuche.
- In den letzten 10 Jahren sind in Deutschland zwischen 500.000 und 1 Million. Menschen von dem Suizid eines ihm nahe stehenden Menschen betroffen
- Alle 9 Minuten verliert in Deutschland jemand einen nahe stehenden Menschen durch Suizid

* Die Angaben über vollendete Suizide beruhen auf den Angaben des Statistischen Bundesamtes vom November 2021. Da Daten zu den Suizidversuchen nicht systematisch erhoben werden, sind die Angaben Schätzungen auf Basis der Ergebnisse in kleineren Erhebungs-gebieten im Rahmen der Studie „Monitoring Suicidal Behaviour in Europe“  (publiziert in Schmidtke et al. 2001, 2004). ** Die Angabe von 6 betroffenen Angehörigen durch einen Suizid beruht ursprünglich auf einer Behauptung von Shneidman (1973) und tradierte sich als Schätzung bis hinein in WHO Publikationen. Eine erste Überprüfung von Berman (2011) ergab, dass die Schätzung den Kreis sehr nahestehenden Betroffenen relativ gut erfasste, dass aber durchaus darüber hinaus noch weitere Menschen betroffen sind. *** Weitergehende Berechnungen durch H. Müller-Pein & K. Wache.

Vergleich zu anderen Todesursachen

In Deutschland starben im Jahr 2022 deutlich mehr Menschen durch Suizid (10.119) als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und AIDS zusammen (~7.088).

Entwicklung der Zahlen

Im Jahr 2022 ist die Gesamtzahl der Suizide deutlich um 904 Fälle auf 10.119 gestiegen. Dieser Anstieg um 9,8% ist der stärkste in einem Jahr seit 1980. Der Anteil der Männer an den Suiziden beträgt mehr als 74 %. Der stärkste Rückgang der Suizidhäufigkeit war in den 1980er Jahren zu verzeichnen. Vom Höchststand 1981 (18.825 Fälle) ging die Zahl der Suizide um 41% auf 11.065 Fälle im Jahr 2000 zurück. Bis zum Jahr 2021 ging die Zahl der Suizide um weitere 18% auf 9.215 Fälle zurück. In dieser und den folgenden Abbildungen sind die Daten von 1980 bis 2000 in Fünfjahresschritten dargestellt.


Die Entwicklung des Suizidgeschehens in Deutschland wird durch die Suizidziffer, d.h. die Anzahl der Suizide pro 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen, genauer erfasst. Dadurch wird der Einfluss der unterschiedlichen Bevölkerungsgröße in den einzelnen Jahren ausgeglichen. Eine prozentuale Veränderung der Anzahl der Suizide kann sich deswegen von der Veränderung der Suizidrate unterscheiden. Die Suizidrate insgesamt ist im Jahr 2022 gegenüber dem Wert von 11,1 im Vorjahr auf 12,1 um 9,1% gestiegen. Bei den Frauen stieg die Suizidrate von 5,7 auf 6,2 um 8,8%, bei den Männern von 16,6 auf 18,2 um 9,6%.

Bundesländer

Zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede im Suizidgeschehen. Im Jahr 2022 hatten Sachsen (17,2) und Sachsen Anhalt (16,3) die höchsten Suizidziffern. Am stärksten gestiegen ist sie in Brandenburg und Hamburg (um jeweils 2,4). Bremen (9,0) und NRW (9,0) haben die niedrigste Suizidziffer. Nur in Thüringen (-2,5) und im Saarland (-0,9) gab es einen Rückgang der Suizidziffer. Sachsen hat die höchste Suizidziffer bei Frauen (9,0) und SachsenAnhalt bei Männern (26,5). Die niedrigste Suizidziffer hat Bremen bei Frauen (4,1) und Nordrhein-Westfalen bei Männern (10,8).

Suizid im höheren Lebensalter

In Deutschland steigt die Suizidrate bzw. das Suizidrisiko mit dem Lebensalter an (sog. „ungarisches Muster“). Die Suizidrate der Männer ist in allen Altersgruppen deutlich höher als die der Frauen. Insbesondere steigt sie bei den Männern ab dem 70. Lebensjahr deutlich. Aber auch jede zweite durch Suizid verstorbene Frau ist älter als 60 Jahre. Beträgt die Suizidrate im Jahr 2022 bei den 20- bis 25-jährigen Männern 9,1 (Frauen: 3,5), so steigt sie bei den 85- bis 90- jährigen Männern auf 73,7 (Frauen: 17,4).


Auch in absoluten Zahlen übersteigt im Jahr 2022 die Anzahl der Suizide von Männern in allen Altersgruppen die Anzahl der Suizide von Frauen deutlich: 74,2% aller Suizide im Jahr 2022 entfallen auf Männer (7.504) und 25,8% auf Frauen (2.615). Die deutliche Mehrheit der Suizide entfällt auf die Altersgruppe der über 50- Jährigen (73,4%, 7.430 Fälle).

Suizide im Jugendalter

Die beschriebene Rangfolge der Altersgruppen hat sich über die Jahre nicht verändert. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es einen leichten Rückgang der Suizide bei den 5- bis 24- Jährigen. In allen anderen Altersgruppen steigen die Suizidraten an. (25-44: 5,2%; 45- 64: 8,3%; über 64: 13,1%) Ein drastischer Anstieg der Suizidrate im Zusammenhang mit der COVID19-Pandemie für jüngere Menschen lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht ableiten.

Während der Anteil des Suizids an der Gesamtzahl der Sterbefälle im jungen Alter und im Alter bis 45 Jahren hoch ist, nimmt der Anteil mit steigendem Lebensalter deutlich ab. 2022 waren 0,9% (+0,1%) aller Sterbefälle Suizide (im Jahr 2000 waren es 1,3%). Bei den jungen Menschen unter 25 Lebensjahren lag der Anteil der Suizide an den Sterbefällen bei 16,0% (+1,4%), bei den Menschen ab 65 Lebensjahren lag der Anteil bei 0,5% (+0,1%). In den jungen Lebensjahren gehört der Suizid zu den Haupttodesursachen.


Betrachtet man den Anteil der Altersgruppe 60+ an der Gesamtzahl der Suizide in den letzten Jahren des jeweiligen Geschlechts, fällt auf, dass sich die Suizide insgesamt in das höhere Lebensalter verschieben. Insbesondere der Anteil der älteren Männer an der Gesamtzahl der Suizide der Männer steigt in den letzten Jahrzehnten deutlich an. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist der Anteil der Männer im Alter von 60 Jahren und älter an den Männersuiziden stark angestiegen (von 35,5% auf 53,2%). Bei den Frauen lag der vergleichbare Anteil, abgesehen von 2020, seit Jahren höher.


Im Jahr 2022 betrug das durchschnittliche Alter eines durch Suizid Verstorbenen 60,7 Jahre. Gegenüber dem Vorjahr ist es um genau ein Lebensjahr gestiegen. Im Jahr 2000 lag es noch bei 53,9 Jahren. Der Anstieg des durchschnittlichen Sterbe-alters ist vor allem auf die Entwicklung bei den Männern zurückzuführen. Auffallend ist auch in dieser Statistik der besondere Anstieg bei den Frauen in den letzten beiden Jahren. Der Suizid ist zunehmend ein Phänomen des höheren Lebensalters.


Beim Vergleich der absoluten Zahlen mit dem Vorjahr (2021) fällt auf, dass es bei den jüngeren Menschen (15 bis bis 19 und 25 bis 29 Jahre) einen leichten Anstieg gegeben hat und bei den 10 bis 14 und den 20 bis unter 24jährigen einen leichten Rückgang gegeben hat. Bei der kleinen Fallzahlen in den Altersgruppen können diese Veränderungen in der normalen Schwankungsbreite liegen. In allen Altersgruppen gibt es einen deutlichen Rückgang der Anzahl der Suizide im Vergleich zum Jahr 2000.


Beim Vergleich der Suizidraten mit dem Vorjahr (2021) gab es bei den jüngeren Menschen (15 bis 19 und 25 bis 29 Jahre) einen leichten Anstieg hat und bei den 10 bis 14 und den 20 bis unter 24jährigen einen leichten Rückgang. In allen Altersgruppen gibt es einen Rückgang der Suizidrate im Vergleich zum Jahr 2000. Die vorliegenden Daten geben keinen Hinweis auf einen bedeutsamen Einfluss der Covid19 Pandemie auf die Suizidhäufigkeit junger Menschen.

Methoden

Bei den Suizidmethoden dominierte 2022 das Erhängen (4.531) deutlich. Es folgen mit 1.440 Fällen Medikamente, sonstige Methoden 1 , (1.413), Sturz (941), Schusswaffen (759, fast ausschließlich Männer) und das „sich vor ein bewegendes Objekt legen“ (468). Danach folgen Gase (321), Ertrinken (214) und Suizid durch Rauch/ Feuer (31). Nach wie vor ist Erhängen die mit Abstand häufigste Suizidmethode in Deutschland. 60% der Männer und 30% der Frauen wählen diese Methode.
* Auflistung sonstiger Methoden siehe unten.


Unter Sonstige Methoden wurde von den Autorinnen zusammengefasst: X65 (Alkohol), X66 (organische Lösungsmittel), X68 (Schädlingsbekämpfungsmittel), X69 (nicht näher bezeichnete Chemikalien), X75 (Explosivstoffe), X77 (Wasser-dampf, heiße Dämpfe), X78 & 79 (scharfer & stumpfer Gegenstand), X82 (ab-sichtlich verursachter Verkehrsunfall), X83 & 84 (nicht näher bezeichnete Art und Weise). Besonders auffällig ist die hohe Anzahl der unklaren Todesursachen.


Überraschend wirkt der Anstieg der Suizide durch Erhängen um 12% (fast ausschließlich durch Männer), der allerdings auf den Anstieg der Suizidfälle insgesamt zurückführbar sein kann. Auffällig ist der Anstieg der Suizide durch Medikamente seit 2020 um 42% von 1.013 auf 1.440 Fälle. Der Anstieg lässt sich überwiegend auf die „Vorsätzliche Selbstvergiftung durch und Exposition gegenüber sonstige(n) und nicht näher bezeichnete(n) Arzneimittel(n), Drogen und biologisch aktive(n) Substanzen“ zurückführen. Es ist zu klären, ob und in welchem Umfang sich assistierte Suizide hinter diesem Anstieg verbergen können.


Abgesehen von der Zunahme der Suizide durch Medikamente ist der Anteil der jeweiligen Suizidmethoden an der Gesamtzahl der Suizide in den letzten 20 Jahren zumeist relativ stabil. Assistierte Suizide werden vom Statistischen Bundesamt nicht gesondert ausgewiesen. Es ist nicht dokumentiert in welcher Art und Weise sie in der Todesursachenstatistik ausgewiesen werden.


Sowohl in der Altersgruppe 65+, wie bei den bis zu 64-jährigen ist das Erhängen die dominierende Suizidmethode. Im Vergleich mit der älteren Gruppe sterben Jüngere häufiger durch Gase oder auf Bahngleisen. Auffallend ist, dass die überwiegende Anzahl der Suizide durch Schusswaffen von Menschen jenseits des 65. Lebensjahres (und zwar überwiegen von Männern) verübt wird.